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Eines von drei Büchern mit Einband aus
Orkney-Leinen
(Erläuterung siehe unten)
Hardcover
Breite: 300 mm, Höhe: 400 mm
Decke: Rohleinen ...
16 Seiten Silberburg Tiefdruckbütten (240 g) mit
Büttenrand
Papier naturgefärbt
Handschrift
Entstehung: 2020
hard
cover
wide: 300 mm, high: 400 mm
cover: Linen
16 pages heavy handmade paper,
eco-dyed
handwriting, 2020
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Das Leinen:
Im Jahr 2016 schenkten mir meine Freunde auf
der Orkneyinsel Shapinsay ein Stück festes Leinen, das zu einer
Erntemaschine des 19./20. Jahrhunderts gehörte. Ich entfernte die
Holzleisten und Nägel, wickelte am Strand gefundene Eisenteile hinein
und befestigte das Bündel unter dem Steg der Insel. Dort war es ein
Jahr lang den Gezeiten ausgesetzt, bei Ebbe sichtbar, bei Flut unter
Wasser. Im darauf folgenden Jahr kehrte ich zurück und wickelte das
Bündel aus. Das Leinen war brüchig und stark von Bakterien zerfressen.
Vorsichtig säuberte und trocknete ich es - und vergaß es im Schrank,
bis ich in 2020 die Ökodruck-Serie herstellt. Das brüchige Leinen
wurde auf den kaschierten Karton aufgeleimt und dadurch wieder haltbar
gemacht. Dabei sind die Spuren seiner Geschichte deutlich vernehmbar.
Im handgeschriebenen lyrischen Text geht es um
diese Geschichte.
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The Linen:
The cover is made from an Orkney rag.
In 2016 I got an old linen from my friends at Shapinsay/Orkney. It
was part of an old grain harvester. I made a bundle with some iron
flotsam and ropes and we tied it under the pier of the island. For
one year the bundle was set to weather and tides. In 2017 we
released it. It was all black and fractured. I took it home to
Germany, not realy knowing what to do with it. Now I came across the
"talking material" again (barely smelling anymore). I used the
damaged textile for the cover of another eco-dyed book and treated
it like a conservator who saves an archaeological find, digged out
at some neolithic excavation. |
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Ich
spüre die Webfäden, hier ist Kett, hier ist Schuss. Sie sind
zerrissen.
Ich taste über Lehmartiges, Ockerfarbenes,
stumpfes Rostbraun.
Ich erinnere mich an Eisennägel und
Holzlatten.
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Ich schaue zurück auf
Jahrzehnte, die sich zum Jahrhundert türmen. Schweigend
liegt es auf der anderen Seite dieser Schwelle. Ich sehe
Pferde die eine Dreschmaschine über diesen Hügel ziehen.
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Frauenhände teilen Kaffe aus und Brote. Männer werfen
mit Heugabeln die Halme in das sich drehende Stoffrad. Wie
ein aus dem Himmel verbannter chinesischer Kastendrache
zieht es langsam über Hügel, die sich sanft fast bis zum
Meer senken und heute, nur heute, golden leuchten.
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Ich sehe ein Samenkorn in der
Dunkelheit der Erde, ich sehe es keimen und ans Licht
brechen, rösten, schwingen, hecheln. Ich höre das Surren der
Spinnräder, das Krachen von Webstühlen. Und Licht fällt
durch kleine, milch-gestäubte Fensterscheiben auf rasches
Hin und Her und Hin und Her. Und das Leinenmesser macht
rrrrrissssssss.
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Ich sehe lange, schlammfarbene Röcke, unter denen hervor
Frauenfüße Pedale treten, auf und nieder, auf und nieder.
Und die Haut der Hände darüber ist fast so hart und rau
wie der Stoff, den sie unter dem Fuß der Nähmaschine
hindurch führen.
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Ich sehe Händler mit schnellem Schnicken des Stifts ihren
Namen auf Papier setzen. Sie laden die sauber gerollten
Ballen auf Fuhrwerke und fahren in alle Richtungen davon:
Eines fährt zur Mühle, eines zum Segelmacher in einen
kleinen Küstenort. Eines fährt ins Hauptstadt-Hospital,
eines ins Hospiz. ...
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Ich fühle die Monate, in denen die zueinander gehörenden
Teile, die für eine Weile einander zugehörigen Teile,
sorgsam gefaltet unter den Sparren des Schuppendachs
stecken. Schwalben zirpen und plaudern, ihr Gefieder
raschelt, wenn sie sich aufplustern und schütteln, bevor
sie ein Schauer durchläuft weil ihnen der kalte Regen
immer wieder aufs Neue sagt: Zeit ist es, Zeit ist es:
Fliegt! Ich sehe leere Nester und Jahre, in denen
Vergessen alles zärtlich umhüllt, wie der schwere Duft von
Levkojen.
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Ich höre das Meer rauschen. Ich sehe Ebbe und Flut steigen
und fallen, steigen und fallen, sehe das Bündel um den
Stegpfosten gewickelt. Alle zwölf Stunden sieht das Wasser
nach ihm, tastet in seine Falten, sickert durch jede Lage
bis in die Geschichten, die der goldene Staub erzählt, und
zieht sich wieder zurück, seufzend und glucksend, brüllend
und peitschend. Immer bringt es kleine Krebse, Plankton
und Bakterien, die das Leinen besiedeln als neues Land.
Ihr Lebtum löst auf, was so lange verbunden war. Wie
Muskeln, die erschlaffen, Hände, die sich öffnen,
angehaltener Atem, der entweicht beim Flüstern von
Abschiedsworten. Eine Faser nach der anderen ergibt sich
dem Weiden der Wasserherden und Zerren der Wellen. Sie
schweben davon in alle Richtungen, um nie wieder, niemals
wieder zusammen zu kommen. Um neue Allianzen einzugehen,
fast Erde zu werden, fast Krebs, fast Schnee.
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Doch wartet! Haltet einen kleinen Moment inne
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für mich.
©
Tanja Leonhardt
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Rückkseite |
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Details |
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